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Pure Emotionen - zwischen Krach und Konsens

Wie schnell die Emotionen manchmal hochkochen: Zum Beispiel auf der Autobahn rege ich mich auf, wenn Menschen so rücksichtslos fahren, als gehörten ihnen alle drei Autobahnspuren gleichzeitig. Manche Momente gehen einfach nicht ohne Emotionen: Im Stadion oder vor dem Fernseher hat die Aufregung noch ihren berechtigten Platz. In Social Media kann sie aber auch schnell in Empörung umschlagen, nach dem Motto: "Wer meine Weltsicht nicht teilt, den mache ich fertig." Das ist bedenklich und gefährlich!

Es sind hochemotionale Zeiten. Populistische Forderungen verkommen zu einem Gemisch aus markigen Sprüchen und gefühlten Wahrheiten. Garniert mit ergreifender Musik wird sogar die absurdeste Forderung bühnenreif inszeniert. Nicht nur in den USA. Gerade in diesem Wahljahr gibt mir das zu denken. Geht's auch ein bisschen unaufgeregter? Wo ist der Mittelweg zwischen den Zerrbildern aus "Freund" und "Feind", "wir" und "die"?

In der Bibel sind auch viele Emotionen im Spiel: Neid und Liebe, Verzweiflung und Dankbarkeit, Einsamkeit und Gewissheit - all das wird spürbar, hörbar, lesbar. Es steckt eine tiefe Weisheit in Erkenntnissen von Menschen wie diesen:

Seht, wie gut es ist und wie wohltu- end, / wenn Menschen beisammen wohnen - / als wären sie Bruder und Schwester. (Psalm 133,1) 1 BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Wer weiß, wie emotional es zwischen Geschwistern werden kann - im positiven wie im negativen Sinne - der weiß, welch tiefe Dankbarkeit für den geschwisterlichen Frieden aus diesen Worten spricht. Gut, dass biblische Geschichten von den großen menschlichen Gefühlen zu erzählen. Sie bieten die Möglichkeit, sich in andere einzufühlen und Worte für die eigenen Gefühle zu finden, statt die Emotionen ungebremst und ungefiltert auf andere loszulassen.

Sich einzufühlen in die Emotionen anderer, das sendet uns Warnsignale, Hoffnungszeichen und manchmal auch das gute Gefühl, verstanden zu werden. Mit unseren Emotionen machen wir uns erkennbar für andere. Das kann uns enger zusammenrücken lassen, als wir es für möglich gehalten hätten. Wer wollte auf die stärkende Kraft der Emotionen verzichten? Das gemeinsame Weinen bei einer Trauerfeier. Den beglückten Gesang zur lauten Musik auf der Tanzfläche. Die Rührung angesichts der Karte im Briefkasten: "Du fehlst mir, lass es uns doch nochmal miteinander versuchen?" Emotionen können Menschen entzweien. Sie können uns einander aber auch näher bringen. Verbundenheit. Solidarität. Zusammenhalt. All das lebt davon, dass wir uns trauen, unsere Emotionen zu zeigen. Wir haben es bitter nötig.

Ihr Pfarrer Jonathan Stoll


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